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Jazzkritiken und Literatur
Hermann Martlreiter Quintett
feat. Johannes Herrlich (tb), Bernd Heß (g),
Rocky Knauer (b), John Betsch (dr) und Herrmann Martlreiter (ts, ss)
18.01.1999, "Et Cetera" Freising


Veröffentlicht in der Süddeutschen Zeitung
Freisinger Neueste Nachrichten vom 20.01.1999

copyright © 1999 Wolfgang M. Seemann


Absolute Spitzenklasse

Herrmann Martlreiter eröffnet Saison im "Et Cetera"

Freising - Mit einem Konzert der Spitzenklasse eröffnete der Jazz Club Hirsch am Montag im Freisinger "Et Cetera" das neue Jazzjahr. Die weihnachtliche Jazzpause hat dem zuletzt ein wenig unter Besucherschwund leidenden Jazz Club offensichtlich gut getan, denn die Freisinger Szenekneipe war so voll wie lange nicht mehr. Allerdings war es wohl auch die hochkarätige Besetzung der Band, die das Publikum in Scharen anlockte.

Der Landshuter Saxophonist Hermann Martlreiter war mit großer Quintettformation nach Freising gekommen. Neben dem excellenten Posaunisten Johannes Herrlich agierte der Münchner Gitarrist Bernd Heß als zweiter Solist. Und mit dem Bassisten Rocky Knauer war auch die Rhythmusgruppe zusammen mit dem aus Paris angereisten amerikanischen Trommler John Betsch erstklassig besetzt. Ein Programm, das ausschließlich aus Eigenkompositionen der Ensemblemitglieder bestand, sorgte für einen vielversprechenden Auftakt der neuen Jazzsaison.

Von Hause aus hauptsächlich Tenorist so stellte sich Bandleader Herrmann Martlreiter zunächst einmal am Sopransaxophon vor. Quirliges Laufwerk im Wechsel mit sanftmütig näselnden Dehnungen und Streckungen kennzeichnete Martlreiters Solospiel bei seiner Komposition "Septembersee". Anhand der künstlerisch ausgelebten Freiheit des Zusammenspiels wurde sofort deutlich, daß es sich hier um Musiker von Format handelte. Ein Funk-Blues, bei dem insbesondere die Rhythmusgruppe Raum für kreative Soli erhielt und eine darauf folgende, sich in freizügiger Agogik über eine Grundskala ergießende Improvisation nahmen anfangs noch etwas Fahrt aus dem Getriebe. Doch der folgende Titel "Final Inspiration" von Johannes Herrlich brachte dem Konzert nicht nur namentlich den rechten Kick. John Betsch bewies mit filigraner Rhythmusarbeit im Hintergrund große Klasse, während subtil gesetzte Gitarrenvoicings von Bernd Heß ihren fein schwingenden, schwebenden Sound entfalten konnten.

Bernd Heß präsentierte sich an diesem Abend sowohl als versierter Begleiter wie als virtuoser Solist und erfinderischer Komponist. Genauso verrückt wie sein Titel so präsentierte sich das Stück "Computus oder die Kunst, das Osterfest zu berechnen". Mit spitzer Feder formulierte Heß hierbei raffinierte thematische Phasenverschiebungen, die bei aller Komplexität rhythmisch wie musikalisch am Ende doch aufgingen und sich in ihrer Berechnung wohl kaum weniger als schlüssig erwiesen, wie der Frühlingsvollmond als ursächliche Variable für den Ostertermin.

Zuweilen verdeckte die elektrisch verstärkte Gitarre im tiefen Register ein wenig die Bläserstimmen. Herrmann Martlreiter verstand es aber vorzüglich, seine ebenso geschmeidigen wie behenden Tenorsaxophonlinien in höhere Lagen zu entführen. Johannes Herrmann überzeugte mit seinen technisch beweglichen und intelligenten Soli. Sein Up-Tempo-Stück "Love Trip" bot rasanten Hochgeschwindigkeitsjazz von brillantem Niveau - sicherlich ein Highlight des Abends.

Aber auch im balladesken Spiel bewies Herrlich seine künstlerischen Fähigkeiten. Anschmiegsam gezogene Posaunenglissandi verbanden Melodietöne zu schillernden Girlanden, und mit gestopftem Instrument beim Slow-Shuffle "Blues for John" setzte er bei der Zugabe sogar noch ein Tüpfelchen oben auf.

WOLFGANG SEEMANN



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