|
„Aber kommen Sie doch herein, guter Mann - ach, Frau Rübenbauer,
bringen Sie dem Herrn Lehmeier doch einen Kaffee, Sie trinken doch Kaffee,
Herr Lehmeier?"
„Lehmann bitte, Herbert M. Lehmann, freier Literat!". Er räuspert
sich: „Ehem - aber natürlich würde ich sehr gerne einen Kaffee
nehmen . . ."
„Also, Frau Rübenbauer, Sie haben gehört: Bringen Sie uns
zwei Kaffee und wir möchten ansonsten nicht gestört werden. Nehmen
Sie doch bitte Platz, Herr... äh, Herrr... hier bitte."
Mit einer flüchtigen Handbewegung deutet Lektor Dr. Körner
auf den kahlen Holzstuhl vor seinem Schreibtisch, und lässt sich selbst
in seinen Lederbezogenen Rollsessel zurückfallen.
„Also Herr Lehfeld, was haben Sie uns denn anzubieten?"
„Lehmann, Herbert M. Lehmann, freier Literat . . ."
„Ja, das sagten Sie bereits. Also, ich bin ganz Ohr."
„Ja ich hätte da einen sehr schönen Roman, 273 Seiten Manuskript,
Schreibmaschine". Lehmann greift in seinen Aktenkoffer und befördert
einen Stoss Papier zutage, der mit dicken Gummibändern altmodisch
zu einem Paket verschnürt ist.
Es geht darin um einen jungen Organisten namens Praetorius, der sich
in die Tochter der Gemeindehelferin verliebt. Sie heißt Inka und
ist erst 14. . . "
„Oh, das ist pikant..."
„Ja, ... ähh, nein! Das ist nicht das eigentlich Wichtige der Handlung
. . ."
„Also Herr Rehbein, dann verschonen Sie mich bitte mit den Details,
wie heißt er denn nun?"
„Ich . . . - ehem...also er heißt Praetorius und Sie heißt
Inka..."
Körner mit Nachdruck: „Nein, ich meine den Roman, wie heißt
der Roman?"
Frau Rübenbauer klopft und bringt ein Tablett mit zwei Tassen
Kaffee herein.
„Also dieser Praetorius hat sich in das junge Mädchen verguckt.
Doch da ist der Nachbarssohn aus der Gärtnerei nebenan, so ein übler
Zocker, der ist scharf auf das Mädel..."
„Und wie heißt der, und was ist, dieser..." Dr. Körner und
reicht dem jungen Autor eine Kaffetasse. „Zucker?"
„Zucker nein, . . . Zocker! Er ist Zocker, dieser Gärtnerbursche.
Er hängt den ganzen Tag in der Spielhalle rum, an den Daddelautomaten,
wissen Sie, nein bitte nur Milch!" Mit der linken Hand wehrt Lehmann die
Zuckdose ab, „Und der will sich auch an das Mädel ranmachen. „Ääh.
. . die Milch bitte . . ."
„Ein Milchbubi? Hockt in der Spielhalle und trinkt Milch? Ich bitte
Sie, das glauben Sie doch selber nicht, Herr Lehmüller!"
„Nein, ich glaube, Sie verstehen mich nicht, noch nicht! Lassen Sie
mich einmal erklären. Also der Praetorius ist scharf auf die Inka,
und weil die noch so jung ist, dürfen das deren Eltern nicht mitkriegen.
Er besorgt sich also in der Gärtnerei nebenan eine Leiter, um bei
dem jungen Mädchen über den Balkon . . ."
„. . . zu fensterln! Ha, ich verstehe!"
„Genau. Aber der Gärtnerssohn hat Wind von der Sache bekommen und
die Sprossen der Leiter angesägt. Und nun bricht sich der Praetorius
ein Bein, als er zu seiner Geliebten . . ."
„Ach, ist das schon seine Geliebte? Wissen Sie, für mich das klingt
alles viel zu verworren. Wie heißt denn nun ihr Machwerk eigentlich?"
„Also ich hatte einen sehr schönen Titel gefunden: Die Leiter
des jungen Gärtners - das klingt doch richtig rund, meinen
Sie nicht auch? Das verkauft sich bestimmt sehr gut . . ."
Dr. Körner schiebt seine Lesebrille auf der Nase zurecht und beugt
sich vor, um nach dem Manuskript zu greifen. „Also das mit dem Verkauf
müssen sie schon uns überlassen. Aber lassen Sie doch mal sehen,
Herr, . . . Herr. . . " - Körner zieht das Manuskript zu sich herüber.
„Die Leiter des jungen Gärtners von Herbert M. Lehmann - hmmh.
Also ich bin noch nicht ganz überzeugt, was haben Sie denn noch dabei?"
Lehmann kramt wieder in seinem Aktenkoffer und holt ein weiteres Manuskript
hervor - ähnlich verschnürt wie das vorherige, aber etwas dünner.
„Ich hätte da noch eine weitere sehr spannende Geschichte . . . mit
dem Titel Lola’s Rente - das ist so eine Art Zukunftsroman im Wirtschaftsmilieu",
beginnt Lehmann.
Körner schnauft abwehrend. „AlsoWirtschafts-Fiction verkauft sich
schlecht, sehr-sehr schlecht, aber geben sie mal her". Körner reißt
das Paket an sich. „Und was haben sie noch, sie sind doch ein kreativer
junger Mann, wie ich Sie kenne, Herr Praetorius". Körner blättert
interessiert in den Seiten des Manuskripts.
„Lehmann bitte! Herbert M. Lehmann, freier Literat"
„Ach ja richtig, ja". Körner blättert weiter in dem Manuskript,
ohne sein gegenüber eines Blickes zu würdigen. „Der Praetorius
war ja der Gärtner, der mit dieser minderjährigen Lola durchbrennt
. . . "
„Wenn Sie erlauben, Herr Dr. Körner, ich denke Sie bringen da
etwas durcheinander . . ."
Körner schiebt seine Lesebrille auf die Nasenspitze, um Lehmann
resolut anblicken zu können. „Guter Mann, Ich glaube Sie sind es doch,
der uns hier seine etwas verworrenen Geschichten andrehen will!"
„Wenn Sie meinen, werter Herr Verlagsleiter, aber ich habe hier noch
etwas anderes, Herr Dr. Körner". Hastig zieht Lehman ein weiteres
Manuskriptbündel hervor.
„Dieser Roman spielt auf dem Dorf, meinem Dorf da draussen", erklärt
Lehmann und zeigt mit dem Daumen über seine Schulter. „Da ist so ein
Landwirt, der züchtet Schweine, illegal, unter dem Einsatz von verbotenen
Medikamenten und Gentechnik. Die Schweine haben dann eine Rippe mehr als
üblich. Doch sein Schwiegersohn Paul, ein junger Medizinstudent. .
. "
„Paul ist doch kein Name für einen angehenden Mediziner. Ist der
schwul oder was?", unterbricht Körner.
„Nein, ich sagte ihnen ja eben, dass der verlobt ist mit der Bauerstochter.
Die beiden kommen nun dem alten Herrn auf die Schliche und stecken das
einem Reporter von der Bild-Zeitung. Die wittert natürlich sofort
einen riesigen Fleischskandal . . ."
„Der Spiegel! Also wenn Sie schon die linke Kampfpresse ins Spiel bringen
wollen, dann doch bitte den Spiegel, guter Mann! Das muss man umschreiben
- wenn es sich überhaupt lohnt! Wie heißt denn dieses Stück,
Herr. . .ääh . . . Herr Lehberger?"
Lehmann schluckt zweimal. „Ich habe den Roman Die uneinträgliche
Leichtigkeit des Schweins genannt, aber wenn Sie wollen, dann könnte
man sicher. . ."
„Ach was, lassen sie’s!" Körner fährt unruhig mit seinem Sessel
herum. „Sagen Sie junger Mann, haben Sie nichts besseres?"
Lehmann greift in seinen Aktenkoffer, zögert etwas und zieht seine
Hand wieder heraus. „Also ich arbeite da gerade an so einer Idee für
einen Fernsehspot, aber das ist noch nicht fertig. . ."
Zaghaft bewegt Lehman sein Hand wieder in Richtung Tasche.
Körner, sanft und freundlich: „Na nun seien Sie doch nicht so
bescheiden, guter Mann, wir kennen uns doch schließlich. Zeigen Sie
doch mal her, was Sie da haben".
Lehmann zieht ein gefaltetes Blatt Papier heraus. „Also, wie es gesagt,
es ist bisher nur ein Skizzenblatt". Er faltet das Blatt vor sich auf.
„Stellen sie sich eine abendliche Meeresstimmung vor, es ist dunkel, der
Seegang ist ruhig. Noch ist es ruhig, gewissermaßen die Ruhe vor
dem Sturm . . . "
Körner scheinbar unbeteiligt: „. . . die Truhe vor dem Wurm. .
. "
„Das ist nicht der Titel - die Stimmung, müssen sie sich vorstellen!
Meeresstimmung, alles etwas düster. Dann die Musik, tiefe Sythesizer".
Lehmann singt: „Duuuh, dada dudadida duuuh, dada dudadida duuuh dada
dudadida duuuh. . . "
„Doldinger!"
„Genau! Und aus der Tiefe des Meeres taucht jetzt ein großes
Schwarzbrot auf: DAS BROT! Das wäre doch eine gute Idee für
einen Werbespot für eine Bäckerei, meinen Sie nicht?".
Dr. Körner schaut etwas unruhig auf die Uhr. „Also Herr Lehbein,
viel Hoffnung kann ich Ihnen da wohl nicht machen. Aber lassen Sie mir
die Sachen einmal da, ganz unverbindlich, ich werde mir das vielleicht
noch mal ansehen. Frau Rübenbauer wird Sie gerne zur Tür bringen,
aber ich denke, Sie finden alleine heraus? Es war nett dass Sie da waren,
wahrscheinlich bekommen Sie die Sachen schon in den nächsten.
. . in den nächsten Tagen wieder zurück Hat mich gefreut, Herr.
. . "
Körner schaut Lehmann gar nicht mehr an, als er ihm die Hand reicht,
sondern wendet sich sofort wieder seinem Schreibtisch zu. Er nimmt sich
das oberste Manukript und blättert.
Die Haustür fällt ins Schloß, sofort greift Körner
zum Telefon. „Frau Rübenbauer, kommen Sie bitte mal ‘rüber, ich
habe hier ‘ne Menge Papier zu kopieren. Wenn Sie damit fertig sind, dann
schicken Sie die Manuskripte umgehend an diesen Trottel zurück, höfliches
Absageformblatt, bedauerlicherweise kein Etat mehr in diesem Jahr
und so. Schreiben Sie seinen Namen richtig: Herbert M. Lehmann heißt
er, mit M-Punkt und EL, E und Ha. Und machen Sie mir gleich eine Verbindung
mit Meier klar, der muss mir die Sachen ein wenig umschreiben, das ist
gutes Material. Ach ja, Frau Rübenbauer, rufen Sie sofort bei Müller-Brot
in Stuttgart an, Marktingchef Sawitzky. Sagen Sie ihm, das Exposé
für seinen neuen Werbespot sei fertig, geht heute noch zusammen mit
der Rechnung raus!".
WOLFGANG
SEEMANN, 11. November 1999
|
|