Literatur
Lektorat Dr. Körner
Hörspiel, unveröffentlicht

copyright © 1999 Wolfgang M. Seemann


„Aber kommen Sie doch herein, guter Mann - ach, Frau  Rübenbauer, bringen Sie dem Herrn Lehmeier doch einen Kaffee, Sie trinken doch Kaffee, Herr Lehmeier?"
 
„Lehmann bitte, Herbert M. Lehmann, freier Literat!". Er räuspert sich: „Ehem - aber natürlich würde ich sehr gerne einen Kaffee nehmen . . ."

„Also, Frau Rübenbauer, Sie haben gehört: Bringen Sie uns zwei Kaffee und wir möchten ansonsten nicht gestört werden. Nehmen Sie doch bitte Platz, Herr... äh, Herrr... hier bitte."
 
Mit einer flüchtigen Handbewegung deutet Lektor Dr. Körner auf den kahlen Holzstuhl vor seinem Schreibtisch, und lässt sich selbst in seinen Lederbezogenen Rollsessel zurückfallen.
 
„Also Herr Lehfeld, was haben Sie uns denn anzubieten?"
 
 „Lehmann, Herbert M. Lehmann, freier Literat . . ."
 
„Ja, das sagten Sie bereits. Also, ich bin ganz Ohr."
 
„Ja ich hätte da einen sehr schönen Roman, 273 Seiten Manuskript, Schreibmaschine". Lehmann  greift in seinen Aktenkoffer und befördert einen Stoss Papier zutage, der mit dicken Gummibändern altmodisch zu einem Paket verschnürt ist.
 
Es geht darin um einen jungen Organisten namens Praetorius, der sich in die Tochter der Gemeindehelferin verliebt. Sie heißt Inka und ist erst 14. . . "

„Oh, das ist pikant..."

„Ja, ... ähh, nein! Das ist nicht das eigentlich Wichtige der Handlung . . ."

„Also Herr Rehbein, dann verschonen Sie mich bitte mit den Details, wie heißt er denn nun?"

„Ich . . . -  ehem...also er heißt Praetorius und Sie heißt Inka..."

Körner mit Nachdruck: „Nein, ich meine den Roman, wie heißt der Roman?"
 
Frau Rübenbauer klopft und bringt ein Tablett mit zwei Tassen Kaffee herein.
 
„Also dieser Praetorius hat sich in das junge Mädchen verguckt. Doch da ist der Nachbarssohn aus der Gärtnerei nebenan, so ein übler Zocker, der ist scharf auf das Mädel..."
 
„Und wie heißt der, und was ist, dieser..." Dr. Körner und reicht dem jungen Autor eine Kaffetasse. „Zucker?"
 
„Zucker nein, . . . Zocker! Er ist Zocker, dieser Gärtnerbursche. Er hängt den ganzen Tag in der Spielhalle rum, an den Daddelautomaten, wissen Sie, nein bitte nur Milch!" Mit der linken Hand wehrt Lehmann die Zuckdose ab, „Und der will sich auch an das Mädel ranmachen. „Ääh. . . die Milch bitte . . ."

„Ein Milchbubi? Hockt in der Spielhalle und trinkt Milch? Ich bitte Sie, das glauben Sie doch selber nicht, Herr Lehmüller!"
 
„Nein, ich glaube, Sie verstehen mich nicht, noch nicht! Lassen Sie mich einmal erklären. Also der Praetorius ist scharf auf die Inka, und weil die noch so jung ist, dürfen das deren Eltern nicht mitkriegen. Er besorgt sich also in der Gärtnerei nebenan eine Leiter, um bei dem jungen Mädchen über den Balkon . . ."

„. . . zu fensterln! Ha, ich verstehe!"

„Genau. Aber der Gärtnerssohn hat Wind von der Sache bekommen und die Sprossen der Leiter angesägt. Und nun bricht sich der Praetorius ein Bein, als er zu seiner Geliebten . . ."
 
„Ach, ist das schon seine Geliebte? Wissen Sie, für mich das klingt alles viel zu verworren. Wie heißt denn nun ihr Machwerk eigentlich?"
 
„Also ich hatte einen sehr schönen Titel gefunden: Die Leiter des jungen Gärtners  - das klingt doch richtig rund, meinen Sie nicht auch? Das verkauft sich bestimmt sehr gut . . ."
 
Dr. Körner schiebt seine Lesebrille auf der Nase zurecht und beugt sich vor, um nach dem Manuskript zu greifen. „Also das mit dem Verkauf müssen sie schon uns überlassen. Aber lassen Sie doch mal sehen,  Herr, . . . Herr. . . " - Körner zieht das Manuskript zu sich herüber. „Die Leiter des jungen Gärtners von Herbert M. Lehmann - hmmh. Also ich bin noch nicht ganz überzeugt, was haben Sie denn noch dabei?"
 
Lehmann kramt wieder in seinem Aktenkoffer und holt ein weiteres Manuskript hervor - ähnlich verschnürt wie das vorherige, aber etwas dünner. „Ich hätte da noch eine weitere sehr spannende Geschichte . . . mit dem Titel Lola’s Rente - das ist so eine Art Zukunftsroman im Wirtschaftsmilieu", beginnt Lehmann.
 
Körner schnauft abwehrend. „AlsoWirtschafts-Fiction verkauft sich schlecht, sehr-sehr schlecht, aber geben sie mal her". Körner reißt das Paket an sich. „Und was haben sie noch, sie sind doch ein kreativer junger Mann, wie ich Sie kenne, Herr Praetorius".  Körner blättert interessiert in den Seiten des Manuskripts.
 
„Lehmann bitte! Herbert M. Lehmann, freier Literat"
 
„Ach ja richtig, ja". Körner blättert weiter in dem Manuskript, ohne sein gegenüber eines Blickes zu würdigen. „Der Praetorius war ja der Gärtner, der mit dieser minderjährigen Lola durchbrennt . . . "
 
„Wenn Sie erlauben, Herr Dr. Körner, ich denke Sie bringen da etwas durcheinander . . ."
 
Körner schiebt seine Lesebrille auf die Nasenspitze, um Lehmann resolut anblicken zu können. „Guter Mann, Ich glaube Sie sind es doch, der uns hier seine etwas verworrenen Geschichten andrehen will!"

„Wenn Sie meinen, werter Herr Verlagsleiter, aber ich habe hier noch etwas anderes, Herr Dr. Körner". Hastig zieht Lehman ein weiteres Manuskriptbündel hervor.
 
„Dieser Roman spielt auf dem Dorf, meinem Dorf da draussen", erklärt Lehmann und zeigt mit dem Daumen über seine Schulter. „Da ist so ein Landwirt, der züchtet Schweine, illegal, unter dem Einsatz von verbotenen Medikamenten und Gentechnik. Die Schweine haben dann eine Rippe mehr als üblich. Doch sein Schwiegersohn Paul, ein junger Medizinstudent. . . "
 
„Paul ist doch kein Name für einen angehenden Mediziner. Ist der schwul oder was?", unterbricht Körner.

„Nein, ich sagte ihnen ja eben, dass der verlobt ist mit der Bauerstochter. Die beiden kommen nun dem alten Herrn auf die Schliche und stecken das einem Reporter von der Bild-Zeitung. Die wittert natürlich sofort einen riesigen Fleischskandal . . ."
 
„Der Spiegel! Also wenn Sie schon die linke Kampfpresse ins Spiel bringen wollen, dann doch bitte den  Spiegel, guter Mann! Das muss man umschreiben - wenn es sich überhaupt lohnt! Wie heißt denn dieses Stück, Herr. . .ääh . . . Herr Lehberger?"
 
Lehmann schluckt zweimal. „Ich habe den Roman Die uneinträgliche Leichtigkeit des Schweins genannt, aber wenn Sie wollen, dann könnte man sicher. . ."

„Ach was, lassen sie’s!" Körner fährt unruhig mit seinem Sessel herum. „Sagen Sie junger Mann, haben Sie nichts besseres?"
 
Lehmann greift in seinen Aktenkoffer, zögert etwas und zieht seine Hand wieder heraus. „Also ich arbeite da gerade an so einer Idee für einen Fernsehspot, aber das ist noch nicht fertig. . ."
 
Zaghaft bewegt Lehman sein Hand wieder in Richtung Tasche.
 
Körner, sanft und freundlich: „Na nun seien Sie doch nicht so bescheiden, guter Mann, wir kennen uns doch schließlich. Zeigen Sie doch mal her, was Sie da haben".
 
Lehmann zieht ein gefaltetes Blatt Papier heraus. „Also, wie es gesagt, es ist bisher nur ein Skizzenblatt". Er faltet das Blatt vor sich auf. „Stellen sie sich eine abendliche Meeresstimmung vor, es ist dunkel, der Seegang ist ruhig. Noch ist es ruhig, gewissermaßen die Ruhe vor dem Sturm . . . "
 
Körner scheinbar unbeteiligt: „. . . die Truhe vor dem Wurm. . . "
 
„Das ist nicht der Titel - die Stimmung, müssen sie sich vorstellen! Meeresstimmung, alles etwas düster. Dann die Musik, tiefe Sythesizer".
Lehmann singt: „Duuuh, dada dudadida duuuh, dada dudadida duuuh dada dudadida duuuh. . . "
 
„Doldinger!"
 
„Genau! Und aus der Tiefe des Meeres taucht jetzt ein großes Schwarzbrot auf: DAS BROT! Das wäre doch eine gute Idee für einen Werbespot für eine Bäckerei, meinen Sie nicht?".
 
Dr. Körner schaut etwas unruhig auf die Uhr. „Also Herr Lehbein, viel Hoffnung kann ich Ihnen da wohl nicht machen. Aber lassen Sie mir die Sachen einmal da, ganz unverbindlich, ich werde mir das vielleicht noch mal ansehen. Frau Rübenbauer wird Sie gerne zur Tür bringen, aber ich denke, Sie finden alleine heraus? Es war nett dass Sie da waren, wahrscheinlich bekommen Sie die Sachen schon in den nächsten.  . . in den nächsten Tagen wieder zurück Hat mich gefreut, Herr. . . "

Körner schaut Lehmann gar nicht mehr an, als er ihm die Hand reicht, sondern wendet sich sofort wieder seinem Schreibtisch zu. Er nimmt sich das oberste Manukript und blättert.

Die Haustür fällt ins Schloß, sofort greift Körner zum Telefon. „Frau Rübenbauer, kommen Sie bitte mal ‘rüber, ich habe hier ‘ne Menge Papier zu kopieren. Wenn Sie damit fertig sind, dann schicken Sie die Manuskripte umgehend an diesen Trottel zurück, höfliches Absageformblatt, bedauerlicherweise kein Etat mehr in diesem Jahr und so. Schreiben Sie seinen Namen richtig: Herbert M. Lehmann heißt er, mit M-Punkt und EL, E und Ha. Und machen Sie mir gleich eine Verbindung mit Meier klar, der muss mir die Sachen ein wenig umschreiben, das ist gutes Material. Ach ja, Frau Rübenbauer, rufen Sie sofort bei Müller-Brot in Stuttgart an, Marktingchef Sawitzky. Sagen Sie ihm, das Exposé für seinen neuen Werbespot sei fertig, geht heute noch zusammen mit der Rechnung raus!".
 
 

WOLFGANG SEEMANN, 11. November 1999
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