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Jazzkritiken und Literatur
In der Sauna von Elmau
Das Esbjörn Svensson Trio (EST) aus Schweden erobert Deutschland

 
veröffentlicht am 22.08.2002 in der Wochenzeitung Rheinischer Merkur / Bonn
copyright © 2002 Wolfgang M. Seemann
 
Autor: WOLFGANG M. SEEMANN

"Das ist schon fast ein wenig wie Urlaub", stellt Magnus Öström zufrieden fest, nippt an seinem Weißbier und ergänzt: "...nach dem Konzert!" Esbjörn Svensson, Dan Berglund und Magnus Öström genießen den lauen Sommerabend. Gerade haben die drei sympathischen Schweden ihren Auftritt beim "Jazz an der Donau"-Festival im niederbayerischen Straubing absolviert. Jetzt sitzen sie im Backstage-Zelt, geben Autogramme und lauschen verzückt den zarten Geigenklängen, die vom Parkplatz herüberströmen. Dort, zwischen den Autos des Festival-Staffs, schleicht Nigel Kennedy auf und ab. Der britische Geigenvirtuose mit Frack und Punkfrisur intoniert Johann Sebastian Bachs "Chaconne", offenbar seine Einspielübung für seinen bevorstehenden Auftritt auf der Straubinger Jazzbühne.

Johann Sebastian Bach ist auch für Esbjörn Svensson ein wichtiger musikalischer Begleiter. "Zurzeit beschäftige ich mich intensiv mit dem ,Wohltemperierten Klavier'", erzählt er und schwärmt von den Einspielungen von Glenn Gould. Einen Bachschen Kontrapunkt hat Svensson auch in einer seiner eigenen Komposition verwoben. "When God Created the Coffeebreak" hat er das Stück genannt. Der kuriose Titel verfehlte auch beim Straubinger Publikum seine Wirkung nicht. Das Festzelt johlte vergnügt, und verschmitzt hob Svensson die Augenbrauen, freute sich, dass die humoreske Einlage beim Publikum ankam.

Tumult im Festzelt

Ein kaum minder wichtiger musikalischer Weggefährte des Trios ist Thelonius Monk, dem die Band vor einigen Jahren schon ein komplettes Album gewidmet hat: "EST Plays Monk". Zum Abschied von der Bühne im Straubinger Festivalzelt ließ Esbjörn Svensson das Publikum eine Melodie von Monk singen - Animation, wie man sie sonst eigentlich nur von Popbands kennt. Doch auch mit Monkschen Melodiefetzen gelang das Unterfangen. Das Festzelt tobte. "Ich mag die Einfachheit von Monks Melodien, seine Kunst, mit wenigen Tönen eine phantastische Musik zu entwerfen", erklärt Svensson später im Interview.

Die Sparsamkeit in der Wahl des musikalischen Ausgangsmaterials ist vielleicht auch das, was den besonderen Charakter der Musik von EST ausmacht. In dem Stück "Strange Place for Snow" beispielsweise - dem Titelsong der aktuellen CD des Trios - sind es nur fünf Klaviertöne, die leicht variert und rhythmisch verschoben das ganze Fundament für eine luzide Klangmystik gründen.

Die Klavier-Voicings von Esbjörn Svensson erinnern zuweilen an Eric Satie, tragen in ihrem Schwebezustand auch manche Züge von Claude Debussy. Farbige Klangmixturen - offen in jeder Richtung, sodass es immer wieder überrascht, wenn man schließlich sieht, wo die Harmonie wirklich hinführt.

Gleiches Recht für alle

Nicht nur musikalisch sind die drei Bandmitglieder absolut gleichberechtigt. Obwohl Esbjörn Svensson der kompositorische Kopf des Trios ist, verstehen sich alle drei als eine Art "demokratisches Kollektiv". Seit neun Jahren spielen die drei Freunde schon zusammen - unter Jazzern hat solch eine Konstanz durchaus Seltenheitswert. Pianist Esbjörn Svensson und Schlagzeuger Magnus Öström waren schon zu Sandkastenzeiten Nachbarskinder. Bassist Dan Berglund kam 1993 hinzu.

"Wir drei lieben dieselbe Musik", sagt Svensson. "Wir haben die gleiche Grundhaltung", präzisiert Berglund. Der Gedanke, ihr Ensemble einmal zu erweitern, liegt den Musikern fern. Vielleicht einmal ein Gastsolist? "Das wäre schon denkbar - aber keinen Bläser. Dann schon eher eine Sängerin oder ein Streichinstrument", sinniert Svensson. "Unsere Musik ist ein geschlossenes Ganzes", resümiert Magnus Öström und macht deutlich, dass solche Überlegungen derzeit kein Thema sind.

Warum auch! EST ist als Trio erfolgreich wie schon lange keine andere europäische Jazzformation mehr. In ihrer Heimat in Schweden haben sie die Popcharts gestürmt. Dort laufen ihre Videos auf MTV Scandinavia, sie werden umjubelt wie Popstars. Und nach einer ausgedehnten Europatournee schaffte das Trio in diesem Jahr erstmals auch den Sprung hinüber auf den amerikanischen Kontinent. Dort das gleiche Bild: "One of the hottest jazz acts in Europe today", urteilte das US-Magazin "Downbeat", und die "New York Times" schwärmte, die Musik von EST enthalte eine Vision dessen, wie der Jazz der Zukunft aussehen könnte.

Natürlich freuen sie sich über den Erfolg, aber zu Kopf gestiegen ist der Ruhm ihnen nicht. "Nein, das Publikum in den USA und in Kanada ist auch nicht anders als in Europa", winkt Esbjörn Svensson ab. Es sei halt ihr Job, täglich irgendwo aufzutreten, ganz egal ob in den USA oder hier in Deutschland. Im Mittelpunkt stehe allein ihre Musik, und es sei einfach schön, dass diese Musik den Leuten gefalle.

Weit über 100 Konzerte in Folge haben Svensson, Berglund und Öström nun schon hinter sich, jeden Tag an einem anderen Ort. Gerade erst vom Pori-Festival aus Finnland kommend, wollen sie schon am nächsten Tag weiter nach Perugia, Italien, dann erst ist mit dem "Roque D'Antheron"-Festival in Frankreich das Ende der Tournee erreicht. "Wir freuen uns, endlich wieder nach Hause zu kommen, wir haben ja alle unsere Familien mit kleinen Kindern in Stockholm", betont Esbjörn Svensson.

Der Apfel fällt nicht...

Mit seinem vierjährigen Sohn Noa habe er gerade erst wieder telefoniert. Noa spielt Schlagzeug und habe ihm gesagt: "Papi, wenn du wieder in Stockholm bist, dann spielen wir ,Smoke on the water'." Noa habe einmal die Tasche mit den Schlagzeugsticks von Magnus Öström tragen dürfen, und seitdem sei der sein großes Vorbild, schmunzelt Svensson. "Mein Sohn hat auch ein Schlagzeug von Magnus gekauft", wirft Dan Berglund ein. "Yeah, ich glaube, ich habe da wohl eine große Verantwortung", scherzt Öström mit übertrieben gespielter Geste von Stolz und Erhabenheit.

Er nimmt noch einen Schluck von seinem Weißbier: "Weißt du, wenn man sich erst einmal an dieses köstliche Bier hier in Bayern gewöhnt hat, dann mag man das laue Gesöff in Schweden gar nicht mehr trinken, das schmeckt einfach nicht mehr." Bayern hat es ihnen angetan. In Feldafing am Starnberger See residiert schließlich das Plattenlabel ACT, bei dem auch EST seine letzten vier CDs veröffentlicht hat. Vor allem aber mit Schloss Elmau verbinden sie ganz besondere Erinnerungen - Wandern, Radfahren, Skilaufen. Dan Berglund: "Kennst du die Sauna in Elmau? Da drinnen haben wir gewohnt!"

 
 
Dieser Text wurde in der Wochenzeitung Rheinischer Merkur veröffentlicht. Die alleinigen Urheberrechte liegen bei Wolfgang M. Seemann. Bitte informieren Sie mich, wenn Sie Textpassagen von mir übernehmen wollen oder einen Link zu meinen Seiten einrichten! Ein Nachdruck sowie eine elektronische Verwertung dieser Texte ist - auch auszugsweise - ohne schriftliche Einwilligung des Autors nicht gestattet!
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