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Jazzkritiken und Literatur
Herbie Hancock in Vilshofen
14.07.2001 - "Jazz an der Donau"


Bayern-Kritik, veröffentlicht am 16.07.2001 in der Tageszeitung DIE WELT

copyright © 2001 Wolfgang M. Seemann

JAZZ-FESTIVAL VILSHOFEN
Herbie Hancocks handgemachte, akustische Musik

Technologie ist vergänglich, sagt Herbie Hancock. Die Zukunft gehöre der Weisheit, sie sei der Schlüssel für ein neues Zeitalter. Edle Worte schickte Hancock Samstagnacht seinem Auftritt beim 15. Internationalen Festival "Jazz an der Donau" in Vilshofen voraus. Auf den Einsatz moderner Technik mochte Hancock in seinem Projekt "Future 2 Future" dennoch nicht verzichten. Dabei dienten Synthesizer und Scratching-Effekte vom Plattenteller nur als Medium, um Ideen auf einem Fundament von Klangfülle gründen zu können. Tiefes Elektronik-Blubbern, spherische Streicherschwülste und wabernde Klangteppiche vom Keyboard gewürzt mit frechen Soundcollagen des DJ bildeten die Basisfür handgemachte, akustische Musik.

Garant für den guten Groove der Sextettformation war die Rhythmusgruppe, die Hancock mit der Schlagzeugerin Terri Lynne Carrington und Bassist Matt Garrison für sein Projekt wohl kaum besser hätte wählen können. Wallace Rooney an der Trompete schien ein wenig dem Klangideal des späten Miles Davis nachspüren zu wollen: schnittig und transparent blies Rooney das gestopfte Instrument, dann wieder schmiegte er sich samtig-weich hinein in beseelt-melodische Lyrik. Trotz allen elektronischen Aufwands blieb Hancock selbst dem nüchternen Klavierspiel verbunden. Kraftvoll hämmerte der 61-Jährige seine funkigen Patterns in die Tasten des Bösendorfer Flügels - keinesfalls betont virtuos, vielmehr satt und griffig und damit um so überzeugender im Ausdruck.

Musikalische Jazz-Revolutionen durfte man trotz des so deutlich nach Zukunftsvisionen lechzenden Projektnamens nicht erwarten. Gemessen an dem eher an einem konservativen Geschmacksideal orientierenden Festivalkonzept wurde Herbie Hanckocks Auftritt in Vilshofen dennoch zum innovativsten Beitrag des Jazz-Spektakels. Lediglich bei seinem "Dolphin Dance" erlaubte Hancock einmal einen kurzen Blick zurück auf frühere Glanzpunkte. Ansonsten widmete sich das Ensemble ausschließlich neueren Stücken, die erst im September auf CD erscheinen sollen.

Atmosphärisch bescherte das Highlight des Festivals den knapp 3000 Zuschauern (neuer Besucherrekord) quasi einen hochsommerlichen Open-Air-Genuss, da man die Seitenwände des Festzeltes wegen der brütenden Hitze des Tages komplett entfernt hatte. Hancocks Konzert begann erst spät zur mitternächtlichen Stunde und fand überraschend früh ein Ende. Schade, das Publikum hätte gerne mehr von dieser feinen Musik gehört.
WOLFGANG SEEMANN




Dieser Text wurde in der Tageszeitung DIE WELT veröffentlicht. Die alleinigen Urheberrechte liegen bei Wolfgang M. Seemann. Bitte informieren Sie mich, wenn Sie Textpassagen von mir übernehmen wollen oder einen Link zu meinen Seiten einrichten! Ein Nachdruck sowie eine elektronische Verwertung dieser Texte ist - auch auszugsweise - ohne schriftliche Einwilligung des Autors nicht gestattet!
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