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Jazzkritiken und Literatur
Klaus Doldingers "Passport"
04.10.1998, "Lindenkeller" Freising


Veröffentlicht in der Süddeutschen Zeitung/FNN

copyright © 1999 Wolfgang M. Seemann

Freising - "Was für eine Soße!" schimpfte Klaus Doldinger am Sonntagnachmittag beim Soundcheck vor seinem Auftritt im Freisinger Lindenkeller. Mit der stets etwas muffig werdenden Akustik im Lindenkeller, wenn die Bässe etwas lauter ausgesteuert werden, mag man sich in Freising längst abgefunden haben - Klaus Doldinger ist mit seiner langen Studioerfahrung gewiß bessere Akustiken gewöhnt. Die Bässe wurden laut, aber dennoch bekamen Doldingers Techniker die Abmischung so weit in Griff, daß sich das Publikum im Passport-Sound wohlig baden konnte.

Wie schon bei der Lindenkellerwiedereröffnung so begeisterte Klaus Doldinger wieder mit einer stark rhythmusorientierten Musik. Neben dem Ausnahme-Schlagzeuger Wolfgang Haffner beschäftigt Doldinger in seiner Band mit Ernst Ströer und Biboul Darouiche zwei äußerst  versierte und enorm agile Percussionkünstler. Sie sorgten dafür daß in einem ausgesprochen dicht gestrickten rhythmischen Korsett jeder 64tel Bruchteil einer Zählzeit mit einer eigenen besonderen Note besetzt wird. Schon der Anfangstitel "Daybreaks Delight" erhielt so einen Drive, der die Beine der Jazzfans in Bewegung versetzte. Beim zweiten Song "Happy Landing" legte Wolfgang Haffner ein fulminantes Drum-Solo hin, das den zugrunde liegenden Dreiertakt mit spielerischer Phantasie überflügelte.

Nun ergriff Klaus Doldinger sein Sopransax und gemeinsam mit den satten elektronischen Streicherklängten des Keyboarders Roberto di Gioia  entlud sich der volle Fusionsound, mit dem Doldingers "Passport" nunmehr schon seit über 17 Jahren ein bedeutendes Stück deutscher Jazzgeschichte mitschreibt. Kritiker haben die Musik von Passport einst als deutsche Antwort auf "Weather Report" bezeichnet - daß Doldinger seine frühen Triumphe in den 50er Jahren noch als Dixielandmusiker gefeiert hatte, erscheint heut kaum noch vorstellbar.

Selten gönnte sich Passport eine Zäsur, ein enormer rhythmischer Druck beherrschte das Geschehen auf der Lindenkellerbühne. Mit dem Bassisten Patrick Scales konnte Klaus Doldinger auf einen zuverlässigen Partner für das wuchtige Fundament  seiner Musik zählen. Mit seiner behenden Fingerslappingtechnik konnte Scales vor allem bei dem Titel "Escape" als Solist in den Vordergrund treten. Bei der Spitzenbesetzung mit der Klaus Doldingers Septett seit vielen Jahren zusammenspielt, überraschte es ein wenig, daß sich ausgerechnet der australische Gitarrist Peter O’Mara sehr im Hintergrund hielt. Obwohl man gerade O’Mara auch als exzellenten Solist eigener Formationen kennt, trat er an diesem Abend mit keinem nennenswerten Solo in Erscheinung. Ernst Ströer hingegen erhielt dafür umso mehr Freiraum für seine faszinierende Percussionkunst. Sein Conga-Solo, währenddessen seine Bandkollegen eine Bühnenpause einlegen durften, war ein absolutes Highlight des Abends.

Die künstlerische Kreativität des Bandleaders Klaus Doldinger spiegelt sich vor allem in seinen Filmmusiken wieder, von denen man an diesem Abend einige der populärsten Kompositionen zu hören bekam. Ein unbestrittener Geniestreich ist iDoldinger wohl mit dem Titelsong für die TV-Serie „Liebling Kreuzberg" gelungen und den Klassiker den sonntäglichen ARD-Abendunterhaltung durfte man schließlich nach langem Applaus auch noch als Zugabe genüßlich auskosten: "Tatort Lindenkeller" - ein ebenso spannendes wie unterhaltendes Erlebnis von Weltklasseniveau!
WOLFGANG SEEMANN



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