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Jazzkritiken und Literatur
"19th Annual Floating Jazz Festival"
19.-24. Mai 2001


Veröffentlicht im Jazzpodium 07/2001

copyright © 2001 Wolfgang M. Seemann

Im Mittelpunkt stand das Jazz Piano
19th Annual Floating Jazz Festival

Den Titel "Stormy Weather" wagte keiner zu intonieren. Niemand mochte wohl noch größere Unbill herausfordern. Denn bei orkanartigem Seegang geriet selbst ein klassischer Ocean Liner wie die "MS Queen Elizabeth 2" mitunter mächtig in Schräglage. Windstärke 10 fegte Möbel von den open-decks, in den Bars und Restaurants ging teures Porzellan und Kristallglas zu Bruch. Mit sanftem Swing und gemäßigtem Bob gelang es den 50 internationalen Künstlern dennoch das "19th Annual Floating Jazz Festival" straight auf Mainstream-Kurs zu navigieren. Auf der Nordatlantikroute von New York nach Southhampton präsentierten die Cunard Line gemeinsam mit den Produzenten Hank O'Neal und Shelley Shier vom 19. bis 24. Mai ein Jazzfestival mit Starbesetzung.

Im Mittelpunkt der Jazz Cruise stand einmal mehr das Jazz-Piano: Tommy Flanagan (im Trio mit seinem Stammbassisten Peter Washington sowie Drummer Tootie Heath), Monty Alexander (im Trio mit Hassan Abdul Ash-Shakur am Bass und Troy Davis an den Drums) und Makoto Ozone (im Quintett von Vibraphon-Meister Gary Burton). Obwohl der 71jährige Tommy Flanangan unter den Strapazen des Seegangs litt, präsentierte er an den ruhigeren Reisetagen zu Beginn und am Ende des Festivals bemerkenswert feine Konzerte. Auch Monty Alexander zog es in den stürmischen Momenten vor, in seiner Koje zu bleiben - zum Leidwesen eines Fernsehteams vom SWR, das an Bord der QE2 ein Portrait über den virtuosen "Klavierfuchs" aus Jamaika drehte (zu sehen voraussichtlich Ende August in der Reihe der Sommerjazzkonzerte bei Arte).

Neben den jeweils in Trio-Formationen auftretenden Pianisten Derek Smith und Rob Bargad mühten sich auch die Solopianisten Adam Makowicz und Ted Rosenthal redlich, den angesichts rauher Seeluft etwas missgestimmten Möbeln an Bord einen runden Ton abzugewinnen. Stilistisch orientierten sich die Jazzpianisten erwartungsgemäß am gehobenen Ambiente der Cocktail-Lounges. Hier, im gedämpften Licht der eleganten Bars, konnte man bei einer edlen Cigar Monte Cristo Spezial (13 US $) oder etwa bei einem Gläschen Remy Martin "Louis XIII" (2 oz für nur 75 US $) auch den zarten Voicings des Gitarristen Gene Bertoncini lauschen.

Die Bläser an Bord waren in der Minderzahl. Tenorist Houston Person formte sein Quartett gemeinsam mit Sängerin Etta Jones zu einem sanften und in sich sehr stimmigen Ensemble mit musikalischem Tiefgang. Das als "Silver Storm" angekündigte Sextett von Altsaxophonist Bud Shank entpuppte sich leider eher als ein vergleichsweise laues Lüftchen für ruhigeres Fahrwasser. Überraschende Akzente setzte die Jugend. Gary Burton hatte für die Jazz Cruise den 13 Jahre (!) jungen Ausnahmegitarristen Julian Lage aus San Francisco mit an Bord genommen. Der hochtalentierte Youngster überzeugte nicht nur mit viel Feingefühl bei der traumversunkenen Horace-Silver-Ballade "Peace", sondern konnte ebenso in flotten Soli an der Seite von Pianist Makoto Ozone erstaunliche Präsenz zeigen. Mit Gildes Boclé am Bass und Marty Richards an den Drums hatte Burton auf frühere Weggefährten aus den späten 80er-Jahren zurückgegriffen. Diese Reunion, mit der Gary Burton einst sein Kreuzfahrt-Debut gab, mochte sich vielleicht nicht unbedingt als beste Wahl erweisen.

Für eine frische Brise sorgten die "Berklee College All Stars". Die Quintettformation mit Walter Smith (ts), Warren Wolf (p, vb), Lage Lund (g), Mark Kelley (b), und Kendrick Scott (dr) gewährte als Elite der Abschlussklassen des Berklee College of Music tiefe Einblicke in das hohe Niveau der amerikanischen Jazzeducation. Die jungen Künstler könnten möglicherweise der Jazzgeschichte kommender Jahre noch einige bemerkenswerte Kapitel hinzuzufügen haben. Bandleader Walter Smith, der flippig-hippe Bassist Mark Kelly und der insbesondere in den Chases so unglaublich innovative Drummer Kendrick Scott bildeten bereits auf der High School in Houston/Texas eine gemeinsame Formation. Schon in ihren Studienjahren wurden sie entsprechend mit Auszeichnungen und hochkarätigen Stipendien überhäuft. Neben Multiinstrumentalist Warren Wolf aus Baltimore - ein ebenso brillanter Virtuose am Vibraphon wie am Piano - beeindruckte auch der norwegische Gitarrist Lage Lund mit ausgereift-wendiger Gitarrenkunst.

Auf der Bühne dieser Band traf man sich am letzten Abend zum Finale der "Berkley Jam Session". Für Gary Burton war es sicherlich mehr Kür als Pflicht, einmal als Solist mit den Top-Absolventen seines Colleges zu musizieren. Und Drummer Troy Davis und Bassist Hassan Abdul Ash-Shakur konnten bei rasenden Up-Tempo-Standards an der Seite der jungen Berkley-Virtuosen einmal all jene künstlerische Freiheiten auskosten, die ihnen das enge musikalische Korsett im Trio bei Monty Alexander sonst versagt.

WOLFGANG SEEMANN


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