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Jazzkritiken und Literatur
"Art Farmers 70ies Birthday"

feat. Art Farmer (tp), Johnny Griffin (ts), Tommy Flanagan (p),
Peter Washington (b), Lewis Nash (dr)
12. November 1998, Bürgerhaus Unterschleißheim


Veröffentlicht in der Süddeutschen Zeitung
Neueste Nachrichten Landkreis München vom 14/15. November1998
copyright © 1999 Wolfgang M. Seemann


Über den Wassern

70 Jahre alt undnoch immer brillant: Art Farmer

Unterschleißheim - Er kokettiert mit seinem hohen Alter: Art Farmer möchte einen Titel von Thelonius Monk ankündigen, weiß aber leider nicht mehr welchen. "Blue Monk", ruft jemand aus dem Publikum. Der Wunsch ist dem Meister Befehl.  Nur von einer spärlichen Baßlinie begleitet, zelebriert Art Farmer mit dem gestopften Instrument das Thema. Ein sich mächtig auftürmender Trommelwirbel signalisiert den Einsatz der Band. Im Publikum treten Zweifel auf: Fußt solch ein feines Intro tatsächlich auf einer rein spontanen Eingebung?
 
Man wird nicht lange bei solchen Gedankenspielen verweilen dürfen, denn auf der Bühne passiert schon wieder soviel Neues. Absolut hochkarätig besetzt, präsentiert sich das Ensemble im Bürgerhaus Unterschleißheim. Der Jazztrompeter Art Farmer feiert in diesem Herbst mit einem speziellen Tourprogramm seinen 70. Geburtstag. und an seiner Seite musizieren der Tenorsaxophonist Johnny Griffin und der Pianist Tommy Flanagan.
 
Wenn man den 1928 in Iowa geborenen Trompeter Arthur Stewart Farmer heute als "Jazzlegende", als "Ikone des Hardbop", verehrt, so muß man gerechterweise ähnliche Attribute auch für seine Partner Flanagan und Griffin finden. Griffin, nur wenige Monate älter als Farmer, ist ebenfalls 70er-Jubilar, Flanagan zwei Jahre jünger.
 
Mit Peter Washington am Baß und Lewis Nash an den Drums haben sich die Altmeister eine jüngere Rhythmusgruppe ins Ensemble geholt. Beide versehen ihre Aufgabe hochkonzentriert,   insbesondere Bassist Peter Washington darf mit seinen Soli gestalterisch in das musikaliscbe Geschehen eingreifen.
 
„My funny Valentine" intonieren die Musiker zu Beginn - gigantisch dann das Tempo bei Charly Parkers "Confirmation". Art Farmers Solospiel verschlägt dem Publikum den Atem. Seine musikalischen Linien sind fein ausbalanciert, sein samtiger Ton scheint selbst bei derart kapriziösen Up-Tempo-Phrasen jenseits aller technischen Dimensionen über den Wassern zu schweben.
 
Es ist es wohl auch die besondere Bauart seines Instrumentes, die ihm zu diesem Ausdruck "lyrischer Schwerelosigkeit", wie es Miles Davis einmal formulierte, verhilft. Art Farmer spielt gewissermaßen eine "Flumpet", eine raffiniert ausgetüftelte Kreuzung aus Trompete und Flügelhorn, die geschmeidige Sanftmut mit der Brillanz des Blechklangs zu verschmelzen vermag.  Tenorist Johnny Griffin ist und bleibt ein Witzbold. Inmitten seiner quirligen Feuerwerke intoniert er einfache Kinderlieder und läßt sein Saxophon anschließend hämisch grinsen, als wolle sich das Instrument über seinen Spieler lustig machen. Aber dann sind sie sofort wieder da, diese harten, fast aggressiven Attacken, voller Blues und Soul.
 
Tommy Flanagan tupft einige Klaviertöne in den Raum, läßt sie wie kostbaren Perlenschmuck abtropfen in erlesene Harmonien - handgesetzte Voicings, innerhalb derer jeder einzelne Ton seine eigene Vitalität versprüht. Aus solcher Einleitung erhebt sich bedächtig die Solomelodie Art Farmers und schwingt sich voller Intensität empor, dem ersten entscheidenden Kulminationspunkt entgegen, auf dem sich, diesen Ton repetierend, auszuruhen eine Wonne sein muß: "Stardust"! Hat man Hoagy Carmichaels Ballade je intensiver gehört?  Wie schön, daß der Bayerische Rundfunk das Konzert aufzeichnet.
 
In der zweiten Halbzeit wird Johnny Griffin dann die besondere Ehre zuteil, die Sängerin Vanessa Rubin auf die Bühne führen zu dürfen. Sie erzählt den "All Blues" und beichtet die "Days of Wine and Roses". Nein, jetzt gibt es keine Steigerung mehr, auch wenn der Saal tobt. Der "C-Jam-Blues" - wieder auf Wunsch des Publikums - beschließt ein wunderbares Konzert.
WOLFGANG SEEMANN



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